Ich habe meine Oma sterben gesehen. Irgendwie hab ich immer gewußt, dass ich dabei sein würde. Aber nicht richtig, nicht wirklich. Erst nachdem es vorbei war, war mir klar, dass ich es immer schon gewußt habe. Es war an diesem heißen Tag im Mai. Wir waren im Garten und mein Telefon klingelt. Und die Eltern sind dran, ich soll die Rettung rufen, weil der Oma gehts nicht gut. Meine Eltern sind nämlich nicht da, die sind auf Urlaub und die Heimhilfe hat sie verständigt, und nicht recht gewußt, wie sie handeln soll. Und ich weiß dass es wichtig ist, das es keine Übung ist, sondern wichtig. Ich packe meine Tasche ein und steige die zwei Stufen hoch, vom Garten ins Wohnzimmer, mit zwei Gläsern in der Hand. Meine Katze wählt genau diesen Moment, um sich dazwischen zu drängen und mir vor die Füße zu laufen. Ich stolpere und falle hin und die Gläser in meiner Hand zerbrechen. Normalerweise falle ich nie, obwohl sich die Katzen jeden Tag redliche Mühe geben, uns zu Fall zu bringen. Und da weiß ich noch tiefer, dass es heute wichtig ist. Ich rapple mich hoch. Meine Freunde, die da sind sagen: „Geh nur, wir machen das schon.“ Sie schauen besorgt drein. Ich fahre zu meiner Oma und die Sanitäter sind schon da. Ich beuge mich über sie, wie sie da im Bett liegt und sage: „Hallo Oma. Ich bin jetzt da.“ Ich weiß, dass sie schon verwirrt ist, und ich denke, wenn ich so zu ihr spreche, dann beruhigt sie das vielleicht. Ich packe ihre Tasche, so wie ich es von meiner Mutter gelernt hab. Ihre goldenen Hausschuhe, eine Bürste, ein Nachthemd mit Rüschen, eine Zahnbürste, Zahnpasta. Aber ich finde nur dieses Plastiksackerl, in das ich dann alles hineinstopfe und weiß, das wäre meiner Mutter nicht passiert. Mit Oma ins Krankenhaus fahren, mit einem schäbigen Plastiksackerl, aus dem ihre goldenen Hausschuhe hervorschauen. Und wir fahren mit der Rettung und kommen dann an, im Krankenhaus. Und ich bin so dankbar für die Leute, die wissen was zu tun ist. Die ihre Liege in das Behandlungszimmer schieben. Und einige Ärzte und Schwestern sind um sie herum. Wie von einer Traube ist meine Oma umkreist und die Ärztin sagt mir, dass sie eine Infusion setzen. Und irgendetwas stimmt nicht, die Ärzte werkeln hektischer herum und versuchen etwas, und aus ihren Worten höre ich, dass es nicht klappt. Und ich spüre, dass meine Oma wütend wird. So wie sie immer, ihr ganzes Leben stark war, passt ihr das gar nicht, was hier mit ihr geschieht und sie ist zornig. Die Ärztin sagt mir: „Wir können die Infusion nicht setzen.“ Und erklärt etwas dazu, das ich nicht verstehe und: „Ihre Großmutter stirbt jetzt.“ Und: „Wenn Sie möchten, könnten wir noch Maßnahmen ergreifen, aber….“ Und ich sage: „Nein.“ Irgendjemand stellt mir einen Stuhl neben das Bett, damit ich mich setzen kann. Und ich nehme Omas Hand, aber ich glaube das interessiert sie schon nicht mehr. Ihre Augen sind schon woanders hin gerichtet. Und irgendwann geht da dieser Schub durch ihren Körper. Ein Zittern. Es ist, als wären unsichtbare Wellen um ihren Körper. Und dann ist es vorbei. Eine Schwester sagt mir, dass sie jetzt eigentlich tot ist, aber das sie noch abwarten müssen, bis das eine Gerät keine Aktivität im Gehirn mehr anzeigt. Und meine Oma wird in ein anderes Zimmer gebracht, raus aus dem Behandlungszimmer in der Notaufnahme. Eine Schwestern erklärt mir salbungsvoll, dass das so ja besser für mich ist, damit ich mehr Privatshäre habe um mich zu verabschieden. Und obwohl ich es nett finde, dass sie mich schonen will, denke ich, dass sie doch nicht solche dummen Lügen erfinden muß. Dass ich doch weiß, dass die Ärzte das Behandlungszimmer brauchen, weil noch andere Patienten kommen. Und da sitze ich neben ihr in diesem Zimmer, und ich versuche was ich kann um eine gute Begleitung zu sein, ich versuche einen Frieden sich ausbreiten zu lassen, weil ich gehört habe, dass die Sterbenden das brauchen. Und es ist ganz absurd da zu sitzen, neben meiner toten Oma. Es ist ein ganz normaler Tag, und draußen sind ganz normale Geräusche. Später dann, ich hab schon mit den Eltern telefoniert und ihnen Bescheid gegeben, und ich sollte dann nochmal zu ihr gehen, um noch etwas zu erledigen. Und mein Freund ist mittlerweile auch da. Und wir gehen in den anderen Trakt im Krankenhaus. Dort wo die Toten liegen und sie nennen es „Verabschiedungszimmer“ und ein Pfleger erklärt uns, wie es jetzt weitergeht, und dass sie 48 Stunden dort bleiben wird. Und so weiter. Er sprerrt die Tür auf, zu dem Zimmer. Und dort liegt sie, verhüllt mit einem ganz weißen Laken und jemand hat Rosen auf ihre Brust gelegt und ich finde es wirklich, wirklich freundlich, dass das jemand getan hat. Das Fenster ist offen, Licht strömt herein und malt Muster auf das weiße Laken. Draußen riecht es nach Flieder und es ist ein Rauschen vom Wind in den Blättern. Und ehrlich: da ist in diesem Zimmer ganz tiefer Frieden, eine große Leichtigkeit und viel Liebe. Ich nehme das Laken von ihrem Gesicht um sie nochmal anzusehen und sie sieht aus als wäre sie aus Papier. Das was da liegt ist tot, aber es ist nicht meine Oma. Es ist wie eine Schmetterlingslarve, tote Materie, wie aus Wachs, wie eine abgestreifte Hülle.