Der Schönheitsfleck von Cindy Crawford

Der Schönheitsfleck von Cindy Crawford ist ein Mythos unserer Zeit. Da gibt es diese Geschichte, die jeder schon tausendmal gehört hat: Cindy Crawford wurde  zu Beginn ihrer Karriere nahegelegt, dass sie sich ihren Schönheitsfleck wegoperieren lassen müsse, um eine Chance als Model zu haben. Sie aber hat mutig zu sich selbst gestanden, und später wurde dieser Schönheitsfleck, dieser Pseudo-Makel ihr großes Markenzeichen. Er hat ihr den Erfolg gebracht und gesichert. Dieser Schönheitsfleck, hat sie herausgehoben aus der Masse von Models.  Das ist die Geschichte die jedes Kind kennt. Sie ist verwandt mit dem Mythos aus Hollywoodfilmen, dass man nur an sich glauben muß und dann alles erreichen kann. Man muß nur man selbst sein. Der Subtext lautet, dass auch wir Makelbehafteten, es schaffen können. Dass die goldene Frucht in unserer Reichweite liegt. Dass wir dieses System weiter tragen und stützen sollen, weil wir eines Tages auch zu seinen Gewinnern gehören könnten. Was aber keiner dazu sagt, was im Gegenteil die Geschichte verdecken soll, ist dass wir eben nicht Cindy Crawford sind. Der Mythos tut so, als würden für uns die gleichen Voraussetzungen gelten. Indem er behauptet, der Schönheitsfleck von Cindy Crawford sei jemals ein echter Makel gewesen, indem es so verdreht wird, als hätte dieses Muttermal jemals wirklich ihre Schönheit beeinträchtigt, wird Cindy Crawford mit uns gemein gemacht. Aber der Schönheitsfleck von Cindy Crawford war nur der Anfang, eines goßen Makelmythos, einer großen Makelsuche. Überall im Internet gibt es Galerien zum durchklicken, die uns die angeblichen Makel der Schönen zeigen. Oder im Fernsehen, in jeder zweiten Klatsch Sendung, die ich sehe wird die Liste heruntergeleiert:  Karolina Kurkova hat keinen Bauchnabel, Heidi Klum eine Narbe auf dem linken Bein, Julia Stegner schiefe Lippen, Gisele Bündchen eine zu goße Nase, Elle Mc Pherson zu große Füße, Agyness Deyn einen markanten Überbiss und Tyra Banks Cellulite Dellen an den Oberarmen.[1] Das erzählen einem die Moderatorinnen, die selbst aussehen wie Models, dann mit einem vertraulichen Unterton, mit einem jovialen Lächeln. Sie sagen dann Dinge wie: „Na, das ist doch wirklich beruhigend, dass auch die Models ihre kleinen Fehler haben.“ Und zwinkern uns zu. Oder: „dieser kleine Fehler macht das Model doch herrlich sympathisch.“
Der offizielle Text tut so, als wolle er mich beruhigen, als wolle er mir ein gutes Gefühl für mich geben. „Seht her auch diese Frauen sind nicht perfekt. Ach, auch die Großen dieser Welt haben ihre Schwächen, ihre Leiden.“ Aber in Wahrheit, wird uns unter unserem Nicken, unter unserem „Jaja, auch die Models sind nicht vollkommen“, ein wenig übel. Und ein Gefühl das Versagens breitet sich leise in uns aus. Denn der Subtext sagt etwas anderes. Heimlich wird uns eine andere Botschaft unter geschoben: „Du mußt dich nur bemühen. Du mußt dich nur genügend anstrengen, du mußt nur das richtige Produkt kaufen, dann kannst du auch so schön sein, wie die Models auf dem Laufsteg. Oder zumindest fast.“ Und übrigens: „Sieh dir diese Frauen an, diese wunderschönen Frauen, aber auch die sind nicht perfekt, und es geht darum perfekt zu sein. Sieh nur wie das Urteil sie zerlegt. Sieh nur, wenn man ihre Körper nur lange genug auseinandernimmt, wenn man sie nur ausreichend seziert, dann findet man auch an ihnen das Schlechte. Sieh nur, wie wir sie zerstückeln, wie wir sie in ihre Einzelteile zerlegen.“ Da heißt es dann:  „Narben, Segelohren oder große Füße: Auch Heidi Klum, Adriana Lima oder Gisèle Bündchen kämpfen mit Schönheistfehlern. Die Bilder.“[2]
Und sie haben sie, die Bilder. Die Beweisfotos. Wir haben sie zuerst auf ein Podest gestellt, sie über uns erhöht, und dafür hassen wir sie jetzt, und rächen uns. Aber heimlich, mit einem Lächeln, damit es keiner merkt. Oder wir erfinden den Mythos von der Rache der Natur an denen, die sie gesegnet hat. Und begierig lauern wir: „Sorge um eine der schönsten Frauen der Welt. Cindy Crawford hat den Verdacht, dass sie Hautkrebs hat. Ausgerechnet ihr Markenzeichen, der Schönheitsfleck an ihrer Oberlippe, soll dem Topmodel Probleme bereiten.“[3]
Natürlich, ausgerechnet.
Und: „Zu Beginn ihrer Karriere war das Muttermal etwa so groß wie eine Sommersprosse. Mittlerweile sei es gewachsen und habe sich ausgedehnt. Solch eine Mutation ist oft ein Indiz für Hautkrebs. Noch hat kein Arzt den besorgniserregenden Verdacht diagnostiziert. Wir halten euch auf dem Laufenden.“[4]
 

 


Einkaufstaschen

Ich steuere meine obligatorische Bank an, in der U Bahn Station Schottenring, und als ich mich setzten will, seh ich eine alte Dame, die mit zwei Sackerln sichtlich aufgelöst daher kommt. Ihre Blicke begehrlich auf den freien Sitzplatz geheftet. Also lasse ich es bleiben und stelle mich daneben hin. Obwohl ich versucht habe, es zu vertuschen, hat sie gemerkt, dass ich mich eigentlich setzten wollte, und lässt sich schnaufend nieder. Wir schauen uns an und sie beginnt mir die Geschichte zu erzählen, warum sie sich denn da jetzt so abschleppen muß. Ganz hab ich es nicht verstanden, auf jeden Fall aber, war ihr Mann unglücklich darin involviert. Er trägt die Hauptverantwortung, dass sie jetzt diese zwei schweren Sackerl tragen muß. „Des hot eh ka Gwicht, hot a gsogt.“ Dann drängt sie mich doch mal zu probieren, um mich zu überzeugen und ich muß das Sackerl probeweise hoch heben, damit ich ihr bestätige, dass es wirklich viel zu schwer ist. Sie zeigt mir ihre Einkäufe. Ich pflichte bei: „Ja wirklich, alleine die zwei Liter Milch, das sind ja schon zwei Kilo.“ Wir reden noch ein bißchen, und ich schlage eine von diesen Zieheinkaufstaschen vor, aber die sind ganz unpraktisch, sagt sie. Und ich fühle, dass von ihr viel Gutes zu mir strömt. Sie hat ganz eisblaue Augen, aber in denen sitzt viel Humor. Dieser typische Humor, den ich bisher vorallem in den Augen älterer Frauen bemerkt habe. Augen die ein ganzes Leben gesehen haben, denen so schnell keiner was vormachen kann, und die keine Angst mehr haben. Die fest verwurzelt sind in der Realität.

Frühling

Es ist Mittagspause und ich gehe im Praterpark spazieren. Ich gehe meine übliche Runde, wie immer, wie jeden Tag. Den gleichen Weg. Warum ich immer den gleichen Weg gehe, weiß ich eigentlich gar nicht. Und die Blätter über mir sind grün. Und da kommt einer auf seinem Fahrrad. Er hat eine von diesen Jogging Hosen an und eine dicke, silberne Kette um den Hals. Er blickt sich suchend um und reckt den Hals, damit er den ganzen Umkreis sieht. Senioren und ein Pärchen, und naja, ich. Und ich weiß schon was er da treibt, mit dem Rad herum fahren und Girls abchecken… Es ist ja ganz frischer Frühling. Und er fährt ein bißchen stumm neben mir her und dann sagt er mit der typischen harten Intonation, also so, wie Erkan und Stefan sprechen: „Hallo, wo gehst du hin!“ Und ich denke mir: „Maaah, bitte!  Muß das sein, ich hab Mittagspause.“ Aber was soll ich schon groß machen, und ich versuche halbwegs freundlich zu antworten. Und er fragt so dies und das: Wo ich denn arbeite? Und was ich da so mache, und ob er mich ins Büro bringen darf?  Und ob ich eigentlich einen Freund hab, und ob ich wirklich, wirklich 40 Stunden arbeite? Und ich merke, dass er noch ganz jung ist. Und ich frage ihn was er denn so macht. „Ja, ich geh in die Schule, aber meistens schwänze ich, wenn ich nimmer will!“, sagt er, mit einer kindlichen Aufrichtigkeit. Ich schaue ihm in die Augen und frage ihn wie alt er denn ist, und komme mir bei der Frage vor, wie seine böse Oberlehrerin. Und er sagt: „Neunzehn“. Ich sag: „Ah, okay“. Mmmmhhh. „Ich bin neunundzwanzig.“ Er sagt: „Boah, da bist du ja zehn Jahre älter als ich.“ „Ja“. Wir schweigen. Anstandsmäßig  radelt er noch ein paar Meter neben mir her, dann sagt er: „Äh, ich muß da jetzt abbiegen.“ :-)

Eric Clapton und Satan

Gestern im Lokal. Da kommt dieser Musiker nach dem Konzert  zu mir und sagt: „Hey wülst du mit uns mit kommen, wir mochen no  a bissi Party, ganz auf gmütlich, a bissi Eric Clapton Dvd schaun und ein bissl wos nehman…Gonz easy.“ Und zuerst denke ich: „Juchhuuu! Drogen!“ Und dann denke ich, „Eric Clapton, Hä? Warum Eric Clapton?.“ Und dann fällt mir der Film wieder ein, den ich vor kurzem geschaut hab „Jennifers Body“,  wo diese Band dem Satan eine Jungfrau opfern will, damit sie ihren Durchbruch schaffen. Und sie ist aber keine Jungfrau mehr und wird zum Dämon und frisst Leute. Und ich denke: “ Naja, man weiß ja nie.“ Und ich sage: „Nein, Danke. Ich weiß es echt zu schätzen. Aber Danke, nein. Aber euch noch einen schönen Abend.“  Das hat ihn dann beleidigt und er war sauer und dann auch dahin.

Schlägerei

Wiedermal beim U Bahn fahren. Da bricht dieser Streit los. Und zwei Typen fangen eine Schlägerei an. Und sie schreien und es kracht. Und ich verkrampfe mich am ganzen Körper. Und ich weiß ich sollte jetzt etwas tun, irgendwie einschreiten oder so. Aber ich bleibe sitzen und  schäme mich, dass ich so feig bin. Und ich sehe nicht genau was vorgeht, weil ich mit dem Rücken zu ihnen sitze, aber bei jedem Geräusch, kralle ich mich fester in meine Tasche. Und mir gegenüber sitzt ein Mann um die 60. So einer, den man an einem Würschtelstandl finden könnte. Und er strahlt eine unglaubliche Ruhe aus. Und er schaut mich an und sagt: „Brauchst di net fürchtn, jetzt haun sa sie a bissl, und nocha vertrong sa sie wieda.“ Und er sagt es, als wüßte er, wovon er redet.

Ein unmoralisches Angebot auf wienerisch

Es ist ganz spät, oder früh morgens, je nach dem. Und da treffe ich diesen Mann in der U Bahn. Ein bißchen wie Stefan Weber hat er ausgeschaut und einen Hut hat er aufgehabt. Er hat mir erzählt, dass er Zuhälter ist. Und dann hat er in seine Jacke gegriffen und Unmengen von Geldscheinen zu Tage befördert. Und dann hat er gesagt: „Wos kosts bei dia? Wüvü wüst hom?“. Und ich hab das Angebot dankend abgelehnt. Und da ist er richtig zornig geworden. „Du glaubst woi, du bist wos bessas“, hat er gesagt. Und ich habe Nein gesagt, und die Leute in der U Bahn haben gebannt zugehört, bei unserem wunderbaren Dialog. Und er sagt: „Du schaust a bissi aus wie die Greta Garbo“ und da erschrickt er selbst, über die netten Worte und fügt schnell hinzu: „oba  noch da zehnten Kinderlähmung.“ :-D

Die Menschen enden vor der Stirn. Durch Konzentration kannst du ihnen nahe sein, nicht durch das Aufschwemmen des Ichs, nicht indem du sie in dir selbst suchst.

U-Bahn fahren…

Wenn man mit der U Bahn fährt, sieht man all die vielen Menschen. Man sieht wie ihre Brust sich hebt und senkt beim Atmen. Derselbe Atem, der in sie alle hineinströmt. Und ich sehe da dieses Mädchen sitzen und sie hört Musik, und sie lächelt und ich weiß sie erinnert sich an die letzte Nacht, als ihr der Eine so schöne Worte gesagt hat. Und da ist dieser Mann dessen Knie zittert und der unruhig wird, weil die U Bahn solange in der Station stehen bleibt, und schon beginnt er zu murmeln, weil er zu spät dran ist und die Angst ihm im Nacken sitzt. Und die verliebten Teenager: unter seiner Haut zieht eine zarte Röte auf, weil es so schön ist ihre Hand zu halten. Und das alte Ehepaar wo beide wissen, dass bald einer von ihnen gehen muß. Und der Sandler, der lebt wie ein Vorwurf an uns alle, dass wir darin versagt haben, ihm zu helfen. Weil wir alle besessen sind von unserer eigenen Wichtigkeit. Es ist ein Alptraum der vom Ego kommt so wichtig zu sein. Die Welt tut so als wäre es ein Traum, aber das stimmt nicht. Es ist der grauenvollste Alptraum überhaupt. Die Mutter aller Alpträume. Alles was du tust ist wichtig. Alles ist wichtig. Jeder deiner Schritte hat Bedeutung. Du musst alles richtig machen, denn machst du es falsch ist alles verloren. Das ist doch ganz furchtbar. Aber das ist nicht die Wahrheit, denn in Wahrheit haben vor mir ganz viele Menschen überall auf der Welt zu allen Zeiten  gelebt. Sie waren glücklich, unglücklich oder ängstlich, sie haben es gut und schlecht gemacht. Ich habe darin keine Bedeutung. Und dann löst der Knoten sich, und ich kann sehen, dass da noch etwas Anderes ist. Und ich sehe die schlimmen Knöchel der alten Frau, die vor mir die Treppe hochsteigt, sie sind knorrig und tun sicher weh. Und ich frage mich, warum muß es denn so sein. Warum muß es denn so sein. Und dann denke ich an die Worte, dass das Leben so kurz ist, dass es in Wahrheit, in Wirklichkeit schon vorbei ist. Eigentlich. Und dass wir alle gemeinsam dorthin gehen. Und all das ist Jammern auf hohem Niveau, wie ein Freund von mir sagen würde. Und er hat recht. Und man sollte doch etwas tun und man sollte doch politsch sein und aktiv. Und ich würde gerne mithelfen, aber ich weiß nicht wie, und ich weiß nicht wo. Und da ist immer nur dieser Satz in meinem Gehirn der sagt: „Ich wünschte ich hätte genug Liebe, damit nie wieder jemand leiden muß.“ Aber ich weiß auch, dass das keinen Sinn ergibt.